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FLECHTEN

 
NAMEN
(1) Isländisches_Moos, Isländische Flechte, Lungenmoos, Blutlungenmoos,
Hirschhornflechte, Berggraupen, Brockenmoos, Purgiermoos, Tartschenflechte

Cetraria islandica (L.) ACHARIUS s.l. (syn. Lobaria islandicus HOFFM.)
(s.l. = sensu longo = im weiten Sinne)
(2) Pflaumenastflechte
Evernia prunastri (L.) ACH.
(3) Lungenmoos, Lungenflechte
Lobaria pulmonaria (syn. Sticta pulmonaria)
(4c) Lecanora esculenta

BOTANIK
Flechten sind Lebensformen aus einer Gemeinschaft von Algen und Pilzen.
Die Assimilation erledigen Grün- oder Blaualgen, fädige Zellen werden von
Schlauchpilzen (Ascomyceten) oder Ständerpilzen (Basidiomyceten) gebildet, die
die Wasserversorgung beisteuern. Algen und Pilze bilden das Flechtenlager, den
Thallus.
Grob eingeteilt werden die Flechten nach Strauchflechten, Bartflechten, Faden-
flechten
, Laubflechten, Nabelflechten, Krustenflechten und Gallertflechten.
Die Vermehrung erfolgt vegetativ, da eigentlich nur die Pilze sich geschlecht-
lich vermehren können. Da es schätzungsweise 25000 Flechten(-Arten) gibt, ist
das Gebiet sehr unübersichtlich.
Flechten sind gute Indikatoren für Luftverschmutzungen und unzuträgliche Ab-
nahme der Luftfeuchtigkeit - sie sterben dann eben ab.

(1) Bandflechten, Fam. Parmeliaceae (Schlüsselflechten). Gattung mit 40 Arten.
Unregelmäßig gabelig oder geweihartig verzweigter Thallus, rinnenförmige,
flache, steif-brüchige Bänder, 10..15 cm lang, mit 1..3 cm breiten Ab-
schnitten braun bis olivgrün, eventuell mit roten Flecken, fransig, Unter-
seite grauer, mit grubigen Vertiefungen. Am Rande kleine Erhebungen mit
den Vermehrungsorganen (Pyknidien).
(2) Bandflechten, Fam. Usneaceae
Thallus-Äste mehr oder weniger flach, unterseits weißlich, Ränder mehlig-
körnig.
(3) Fam. Stictaceae
Groß, derb, verzweigt in tief gespaltene Lappen mit buchtigen Zipfeln,
bis Handgröße, filzig behaarte Unterseite, bei Trockenheit graugrün,
sonst hellgrün. An Stämmen alter Waldbäume.
(4) Strauchflechten
Sie haben einen kleinstrauchigen Thallus, die Abschnitte sind meist fein
zerschlitzt, becherige, stiftförmige, strauchige oder fadenförmige Thal-
lusstiele, oft auf einem Prothallus aus Schuppen oder Krusten.
(4) Farbstoffliefernde Flechten
(4a) Lackmus: von Strauchflechten Roccella tinctoria und Roccella fucoides
(syn. R. fuciformis)

Bei den Roccella-Arten sind die Hyphen der Pilze in den Rindenschichten
der Thalli eng miteinander verflochten und bestehen aus kurzen, nach al-
len Seiten sich gleich weit hinstreckenden Zellen. Der Querschnitt ähnelt
einem Parenchym-Gewebe und wird daher auch als Paraplectenchym oder Pseu-
doparenchym bezeichnet. Die Hyphen der Rindenschicht können gestreckt zy-
lindrisch sein, bei Roccella verlaufen sie senkrecht zur Thallusoberflä-
che. [3]
(4b) Orseille: von (4a) und Roccella peruensis (syn. R. fruticosa bzw. R. cac-
ticola) sowie Roccella montagnei
, weiterhin von Lecanora-Arten (Fam. Le-
canoraceae, namentlich Lecanora tartarea). Die Lecanoraceae leben mit
Grünalgen (Trebouxia) als Symbionten. Bei Lecanora ist der Thallus zwerg-
strauchig, knollig-korallenartig, krustig, mit dicker Rinde und Pseudo-
cyphellen (scharf abgesetzte grubige Höhlungen auf der Thallusunterseite
für den Gasaustausch).

VORKOMMEN
(1) Auf armen, saueren Boden, Unterholz von Kiefernwäldern, Heide.
Ursprünglich in großen Mengen gesammelt im Harz, Thüringer Wald, Tirol,
Finnland.
(2) An frei stehenden Gehölzen, weniger an Steinen.
(3) In ganz Europa, am meisten am Atlantik auf Felsen und Bäumen [5], bei
uns selten geworden.
(4a) Felsige Mittelmeerküsten
(4b) Lecanora auch auf kalkfreien Gesteinen von arktischen Gebieten (Skandi-
navien) bis zu tropischen Gebirgen oder Halbwüstenböden. Mittelmeer,
Ceylon, Madagaskar, Mozambique, Sansibar.
(4c) Vorderer Orient, Nordafrika

WERT
(1) Isländisch Moos (Lichen islandicus) hat einen schleimigen Geschmack
durch über 50 % Schleimstoffe (Polysaccharide), bittere, schwach antibio-
tische Flechtensäuren (Lichenin, Isolichenin, Cetrarsäure, Usninsäure),
Jod, Kieselsäure, Vitamin B12. Quellungszahl 4,5. Lichenin ist eine Reser-
vecellulose, die durch Enzyme (Lichenasen) leicht verzuckert wird im Ge-
gensatz zu echten Gerüstcellulosen. Lichenin löst sich in kochendem Wasser
kolloidal auf.
Magenmittel, appetitanregend, gegen Katarrhe der Luftwege, Husten. Wirksam
gegen Blutarmut, Tuberkelbakterien, normalisiert Verdauung, Stuhl, Gallen-
absonderung. Geschmack schleimig, fade, bitter. In Notzeiten als Nahrung,
dann aber wurde das Kochwasser weggeschüttet.
Überdosierung und zu langandauernde Anwendung führt zu Reizungen des Ver-
dauungstrakts und der Leber. [2]
Es wurde festgestellt, dass Isländisch Moos ein Enzym hemmt, das HIV-Viren
zu ihrer Vermehrung brauchen. [4]
(2) Heilwirkung wie (1)
(3) Der Thallus enthält Stictinsäure, Norstictinsäure, Fettsäuren, Schleim-
stoffe, Gerbstoffe. Auswurffördernd, bei Husten, Bronchitis, Asthma, Rip-
penfellentzündung, Emphysem, Keuchhusten; adstringierend, bei Magen- und
Darmleiden; appetitanregend. [5]
(4a) Lackmus, Tournerol, Litum, Lacca musci in freiem Zustand ist rot, seine
Salze sind blau. Als Farbstoffe sind Erythrolein, Erythrolitmin und Azo-
litmin zu nennen. Als Textilfarbstoff eignet sich Lackmus nicht, er ist
weder licht- noch waschecht, wohl aber als Säure-Basen-Indikator. Das nun-
mehr schon legendäre Lackmuspapier ist unter pH 5,0 rot, über pH 8,0 blau.
Heute gestatten synthetische Indikatoren eine enger gestaffelte Anzeige.
Früher wurde Lackmus auch als Farbstoff für Lebensmittel verwendet. [7]
(4b) Orseille, Oricello, Orchilla, Cudbear, Persio, Pourpre francaise
stellt man aus den Arten (4a)(4b) und aus weiteren Flechtenfamilien her
(Cladonia, Evernia, Ramalina, Usnea, Variolara). Gewinnt man die Flechten
von Steinen, nennt man die Farbe Erdorseille, von Pflanzen bekommt man
Krautorseille. Inhaltsstoffe: Flechtensäuren wie ß-Orcin, Lecanorsäure
(= Diorsellinsäure), Erythrin, Orsellinsäure, Evernsäure, Ramalsäure,
Barbatinsäure, Atranorin u.a. Orcin ist farblos, erst durch Einwirkung
von Ammoniak und Luftsauerstoff entsteht rotes bis blaurotes Orcein. [7]
(4c) Die Wanderflechte Lecanora esculenta wächst in Trockengebieten, man
stellte aus ihr das "Tatarenbrot" her [9]. Womöglich ist es das biblische
Manna, siehe Manna

ANBAU
entfällt zur Zeit

ERNTE
(1) Sammeln der Thalli im Sommer, wenn sie noch grün, aber nicht schon brö-
ckelig sind, bei trockenem Wetter. Trocknen im Schatten im Luftzug.
Aufbewahren in geschlossenen Gefäßen. Höchstens 5 % fremde Bestandteile
erlaubt.

VERWERTUNG
(1) Der erste Aufguss der Droge ist bitter, der zweite schleimig (Tagesmenge
2 Teelöffel Droge auf eine 250 ml, aufkochen, sofort abseihen). Nach lan-
gem Kochen bis zu einer halben Stunde erhält man eine gallertartige Masse.
Sind die Bitterstoffe ausgelaugt, bleibt ein Nahrungsmittel nordischer
Länder zurück, aus dem Mehl gemahlen oder auch Schnaps gebrannt wurde.
[1]
(3) Aus der ganzen Flechte werden Verreibungen und alkoholische Auszüge her-
gestellt. Gegen Reizhusten und Asthma Tee (2 Teel. = 1,6 g auf ein Glas
heißes Wasser, 10 min ziehen lassen, als Tagesmenge). [8]
(4a) Die Flechten für Lackmus werden in Skandinavien oder an den Mittelmeer-
küsten gesammelt, getrocknet, zermahlen, mit Ammoniumcarbonat, Kaliumcar-
bonat oder Kalk in Wasser verrührt und vergoren. Die Farbe ist zuerst vio-
lett, nach drei Wochen blau. Ab und zu wird Ammoniak zugesetzt. Schließ-
lich wird mit gemahlener Kreide oder Gips angeteigt, abgepresst und in
Würfelform getrocknet. [7]
(4b) Für Orseille werden die Flechten gereinigt, aufgekocht und durch Siebe
getrieben, mit ammoniakhaltigen Flüssigkeiten (Urin) versetzt, so dass
sich der Farbstoff Orcein als Brei abscheidet. Die Orseillefärberei
wurde ab 1300 in Florenz praktiziert. Mit einer Alaun- oder Tonerdebeize
konnte Wolle rot bis bläulichrot gefärbt werden, allerdings nicht licht-
echt und waschfest. [7]

LITERATUR
[1] LICHTENSTERN, H., J. VOLÁK, J. STODOLA: Schwester Bernardines große Natur-
apotheke, Mosaik München, 1983
[2] WILLFORT, R.: Das große Handbuch der Heilkräuter, Nikol Hamburg 1997
[3] ROTHMALER, W.: Exkursionsflora Bd.1 - Niedere Pflanzen, Verl. Volk und
Wissen Berlin 1983
[4] DUKE, J.A.: Die Grüne Apotheke, Rodale 1997
[5] CHEVALLIER, A.: Die BLV-Enzyklopädie der Heilpflanzen, München, 2. Aufl.
2000
[6] EAB 4. Ausg. (2002) 4.00/1439, S. 2126
[7] ULLMANN, Enzyklopädie der technischen Chemie, 2. Aufl. Bd. 5
[8] BÄSSLER, F. A.: Heilpflanzen erkannt und angewandt, Neumann Verlag Rade-
beul, 5. Aufl. 1966
[9] EBEL, F.: Exotische und heimische Nutzpflanzen, Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg 1984

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