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RIZINUS

 
NAMEN
Rizinus, Wunderbaum, Palma Christi
L: Ricinus communis L.
E: castor plant, F: ricin, I: ricino, N: wonderboom, R: kastor, S: ricino

BOTANIK: Fam. Euphorbiaceae (Wolfsmilchgewächse)
In den Tropen und Subtropen bis 10 m hoch, immergrün. Bei uns 1,5..3 m
hoher Strauch mit einem Stengel, der sich oben verzweigt. Triebe gerillt,
unten verholzend. Blätter wechselständig, lang gestielt, 30..80 cm groß, hand-
förmig gelappt, glänzend. Schnellwüchsig. Getrenntgeschlechtige Blüten in gro-
ßen, weißen oder roten Rispen. Samen 20 x 12 x 4..8 mm, bohnenartig in marmo-
rierten Kapseln (wie eine vollgesogene Zecke). Keimfähigkeit 3 Jahre.
Ricinus gibsonii "Impala" Rizinus gibsonii

VORKOMMEN
Anbau in warmen Ländern: Italien, Frankreich, Spanien, Ägypten, Amerika,Indien

WERT
Wegen des bei uns seltenen Samenansatzes nur als Zierpflanze.
Die Samen (früher Semen Cataputiae majoris) enthalten 45..60 % fettes Öl (bis
etwa 90 % Rizinolsäure, 2 % Stearin- und Palmitinsäure, 5 % Ölsäure, 3..5 %
Linolsäure, 1..2 % Dihydroxystearinsäure), lt. EAB [4] enthält natives Rizinusöl
(Ricini oleum virginale, früher auch Oleum Palmae Christi, Oleum Castoris)
2,5..6 % Ölsäure, 2,5..7 % Linolsäure, 85..92 % Ricinolsäure, 0,3..0,7 % 9,10-
Dihydroxystearinsäure; aber weniger als 2 % Palmitinsäure, 2,5 % Stearinsäure,
1 % Linolensäure, 1 % Eicosensäure, andere Fettsäuren immer unter 1 %. Erstar-
rungspunkt 10..15 °C, Dichte 0,946..0,966, Brechungsindex 1,479; in sehr dünner
Schicht trocknend; Jodzahl 82..85, Verseifungszahl 176..181.
Das Öl muss kalt ausgepresst werden, anderfalls würden die äußerst giftigen
Alkaloide Ricin und Ricinin mit ins Öl gehen. Das Öl wird als Abführmittel,
als Schmieröl für höhere Temperaturen (Rennmotoren), zur Herstellung von Tex-
tilhilfsmitteln (nach Verseifung "Türkischrotöl", Waschmittel), Kosmetika
und pharmazeutischen Mitteln verwendet.
"Rizinusöl" wird auch von anderen Rizinus-Arten gewonnen: Rizinus sanguineus,
R. viridis, R. ruber.

Ricin ist eines der stärksten Gifte, ein Molekül kann eine Zelle abtöten.
Das Toxin besteht aus zwei über eine Disulfidbrücke verbundenen Polypeptid-
ketten A und B. Die B-Kette bindet an galaktosehaltigen Strukturen der Zell-
oberfläche und erleichtert der A-Kette das Eindringen ins Zellinnere, wo es
die 60S-Untereinheit der Ribosomen inaktiviert und so die Zelle abtötet. Ricin
entfernt von einer genau definierten Stelle der RNA (A4324) das Adenin.
Zwar kommen A-Peptid-Proteine auch bei anderen Pflanzen vor (z.B. Weizen!),
aber ohne die B-Kette können sie nicht in Zellen eindringen und sind daher
nicht giftig [1]. Die Giftwirkung äußert sich zuerst nach Stunden durch Lähmun-
gen. Das Rizinusschrot wird als Düngemittel verwendet, der Staub ist aber über
die Atemwege sehr allergen [3]. Als Phytoalexin bildet die Keimpflanze Casben.

ANSPRÜCHE
Kräftiger, nährstoffreicher Boden, tiefgründig, feucht, viel Wasser und Wärme,
volle Sonne, zur Hauptwachstumszeit. Keimung bei über 25 °C. Nicht winterhart,
im Kübel frostfrei überwintern.

ANBAUPRAXIS
Aussaat im Februar bis März in Töpfe (Sätiefe 2 cm) unter Glas. Die Samen soll-
ten 24 Stunden bei 25..30 °C vorquellen. Auflaufen nach 10..14 Tagen. Mehrmals
umtopfen. Nach Abhärtung können die Pflanzen ab Mitte Mai ins Freie gesetzt
werden, entweder in Kübeln, wenn man im zweiten Jahr hofft, dass die Pflanzen
neue Samen bringen - dann aber Kinder und Unbefugte fernhalten! - oder nur für
schmückendes Blattwerk in eine tiefe Grube mit Stallmist oder Komposterde,
80 g Volldünger/m². Wenn die Blätter recht groß werden sollen, gibt man wö-
chentlich eine 0,3%ige Nährlösung.[2]

VERWERTUNG
Das Öl wird durch kalte oder warme Pressung oder durch Auskochen der gequetsch-
ten Samen gewonnen. Für Heilzwecke darf das Öl nur aus enthülsten Samen kommen,
ferner muss das Öl zur Entgiftung der Enzyme mit Wasser gekocht werden. Ranziges
Öl verursacht, innerlich angewendet, Erbrechen. Als Schmieröl für Rennmotoren
(mit herrlichem Duft für Liebhaber des Motorsports) ist es durch synthetische,
maßgeschneiderte Öle verdrängt worden. Wenn nicht die erforderlichen hohen Tem-
peraturen erreicht werden, bleibt viel Ölkohle im Motor zurück, und der ist je-
desmal zu reinigen. Als einfache Reinheitsprüfung für das Öl vermischt man es
mit der dreifachen Menge Vaselinöl. Rizinusöl löst sich nicht in Vaselinöl, alle
anderen Öle aber wohl. [6]

SCHÄDLINGE, KRANKHEITEN
Unter Glas eventuell Spinnmilben

SORTEN
Laciniatus, tief geschlitzte Blätter

HISTORIE
"Ihr Salböl, das sie Kiki nennen, bereiten die Bewohner der Niederungen
(des Nils) aus der Frucht der Sillikyprien. Diese Pflanze, die in Hellas
von selber wild wächst, wird dort an den Ufern des Stromes und der Seen
entlang gesät und trägt eine reichliche, aber übelriechende Frucht, die
gesammelt und entweder zerstampft und ausgepresst oder geröstet und aus-
gekocht wird. Das abfließende Öl ist fett und zur Lampe nicht minder nutz-
bar als das Baumöl, nur dass es übel riecht." [5]

LITERATUR
[1] Naturwissenschaftliche Rundschau (1988), 9, 368
[2] HÖHN, R.: garten und kleintierzucht (1989), 6, 9
[3] ROTH, L., M. DAUNDERER, K. KORMANN: Giftpflanzen Pflanzengifte, Nikol
Hamburg, 4. Aufl. 1994
[4] EAB 4. Ausg. (2002) S. 2811; 4.00/0051: Natives Rizinusöl
EAB 4. Ausg. 3. Nachtrag (2003) S. 4031; 4.03/0051: Natives Rizinusöl
EAB 4. Ausg. 4. Nachtrag (2003) S. 4559; dito
[5] HERODOT (500-424 v.u.Z.): Neun Bücher der Geschichte, Zweites Buch (Eu-
terpe), 94
[6] BUCHHEISTER-OTTERSBACH: Handbuch der Drogisten-Praxis, 1. Bd., Julius Sprin-
ger Berlin, 16. Aufl. 1938
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